So leicht wird das nicht zwischen Lohengrin (David Butt Philip) und Elsa (Malin Byström).
So leicht wird das nicht zwischen Lohengrin (David Butt Philip) und Elsa (Malin Byström).
Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Zählt man Richard Wagners Opernschinken Lohengrin zum wiederkehrenden Kernrepertoire der Staatsoper, darf das Publikum in den nächsten Jahren bei Begegnungen mit dem Rittermärchen gleich zu Beginn mit Trockeneisnebel rechnen. Zugleich wird es mit einem Mord konfrontiert werden, den eine bubenhaft verkleidete Frau offenbar begeht. Ein düsterer Krimi also.

Wer 2022 bei den Salzburger Osterfestspielen dabei war, als die Regieversion von Jossi Wieler und Staatsopern-Chefdramaturg Sergio Morabito erstmals gezeigt wurde, weiß: Elsa, bei Wagner die reine Unschuld, hat hier ihren Bruder Gottfried im Wasser umkommen lassen – und Ortrud hat es gesehen. Sie informiert Telramund, der Elsa später völlig zu Recht des Mordes beschuldigen wird.

Seltsame Geschwisterbeziehung

Am Ende dieser etwas platten, mitunter wirren Inszenierung steigt der Ermordete aus den Fluten: Wie ein Mix aus Wassermann und Lohengrin-Double taucht Gottfried wieder auf und erdolcht seine Schwester. Insofern ist diese Geschwisterbeziehung der surreale Aspekt des langen Abends. Im Grunde allerdings dominiert ein Ambiente, das milieumäßig realistisch an den Ersten Weltkrieg erinnert.

König Heinrich (kultiviert, fast liedhaft, aber ungewohnt dezent Georg Zeppenfeld) besucht das Herzogtum Brabant, um Soldaten zu rekrutieren. Die Bühne ist übervoll: Es herrscht Gedränge, Frauen verabschieden gleich ihre Männer. Es sieht zwar aus wie einst in Salzburg auf der breiten Bühne des großen Festspielhauses, es wirkt nun jedoch etwas beengter. Das mehrstufige Bühnengebilde von Anna Viebrock, das an eine Schiffswerft erinnert, in der Schleusen den Wasserspiegel begrenzen, gewährt dem guten Wiener Staatsopernchor wenig Platz, sich aktiv zu zeigen.

Wäre dies nur öfters passiert!

Es bleibt Ritter Lohengrin vorbehalten, die Gruppen durch seine Ankunft in Bewegung zu versetzen. Lohengrin kriecht aus einer Art Katakombe heraus, während der Boden unter den Menschenmassen wankt. Wäre dies nur öfters passiert!

So dominiert eine oratoriale Stimmung, die sich bleischwer um eine Geschichte von Vertrauen und Ehre legt, die dann und wann durch Banalitäten irritiert wird. Dass der Ritter in seiner herrlichen Heldenhaftigkeit hier dekonstruiert wird, ist okay und verständlich. Dass Lohengrin aber wirkt, als wäre er dem Filmklassiker Ritter der Kokosnuss entsprungen, in dem die Heiterkeitstruppe Monty Python das Rittertum der Lächerlichkeit preisgibt, fügt sich gar nicht gewinnbringend in das hiesige Konzept.

Entzücken und überleben

Schließlich muss der strahlend singende und nur bisweilen in der Höhe an Grenzen geratende David Butt Philip dieser Elsa gegenüber so etwas wie wahre Gefühle offenbaren. Das nimmt man der Ritterkarikatur nicht ab. Die Mörderin ist da schon eher glaubhaft. Elsa wird bei Malin Byström zur manipulierenden Geheimnisträgerin, die sich schrullig-entrückt gibt, um zu entzücken und zu überleben. Byström präsentiert Elsa mit robuster Dramatik, die aber statt Facettenreichtum um eine Nuance zu viel Vibratowürze offeriert. Schließlich überzeugt Byström final jedoch mit dramatischem Furor, mit dem auch die differenziert gestaltende Anja Kampe als Ortrud jederzeit (mitunter etwas schrill) mithalten kann.

Von der vokalen Qualität her könnte die Oper allerdings Telramund heißen. Martin Gantner verbindet, wie einst bei den Osterfestspielen, klare Diktion, Intensität und kultivierte Linienführung, ohne die Schwere der Partie fühlbar zu machen. Szenisch hat man ihm – wie in Salzburg – keinen Gefallen getan, ihn als Terroristen mit einem Maschinengewehr herumfuchteln zu lassen, nachdem ihn im Duell mit Lohengrin bereits ein Herzinfarkt zu Boden gestreckt hatte.

Bisschen grobkörnig da und dort

Für die Regie gab es – nebst Applaus - wie in Salzburg reichlich Buhs. Ohnedies wurde vor allem Dirigent Christian Thielemann gefeiert, als wäre er für die Staatsoper eine Art erlösender Lohengrin. Er ist tatsächlich bei Wagner eine Klasse für sich. 2022 in Salzburg, wo er sich mit dieser Produktion nach zehnjähriger Residenz mit der Staatskapelle Dresden verabschiedet hat (Nikolas Bacher übernahm), klang das allerdings noch ausgewogener.

Besonders im ersten Akt kam an der Staatsoper manches an den exponierten Stellen etwas grobkörnig daher. Ist wohl der Preis der überreichen Intensität, die etwa im Vorspiel zum dritten Akt frappiert. Schließlich gelingen Thielemann abseits der expressiven Exzesse aber auch lichtartige, klangliche Schichtungen und Akzentuierungen von Details, die das Potenzial des Staatsopernorchesters voll ausschöpfen. Es tröstete. (Ljubiša Tošić, 30.4.2024)