Lawrence Livermore National Laboratory Fusionsreaktor
In der riesigen Laseranlage des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien wird an der Kernfusion geforscht.
via REUTERS/Lawrence Livermore N

Das Messproblem, das die Linzer Forschenden vom Research Center for Non-Destructive Testing (Recendt) zu lösen hatten, war keineswegs alltäglich. Ihnen oblag die Aufgabe, eine Methode zu entwickeln, mit der die Wandstärke von synthetisch hergestellten Diamanthohlkugeln mit einer noch nie zuvor erreichten Genauigkeit vermessen werden kann. Das Interesse an höchster Präzision, an einem für Laien eher nebensächlichen Detail, kam dabei nicht von ungefähr. Die pfefferkorngroßen Diamantkapseln mit einer Wandstärke von gerade einmal 0,08 Millimetern dienen in der National Ignition Facility – einer stadiongroßen Laseranlage für Fusionsexperimente am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien – als Brennstoffkammern, sogenannte Targets.

Analysen der Fusionsforschenden brachten das auch für sie überraschende Ergebnis, dass die Qualität ihrer Experimente in hohem Maße von der perfekten Geometrie dieser Kugelschalen abhängt. Um eine Kernfusion zu zünden, müssen in die Hohlkugeln zunächst ein paar Milligramm eines Wasserstoffisotopen-Gemischs aus Deuterium und Tritium eingebracht werden, um sie dann rundum und indirekt mit 192 Laserstrahlen impulsartig zu erhitzen und zum Implodieren zu bringen. Die Fusion zündet allerdings nur dann, wenn das Target keine Materialverunreinigungen und eine nahezu ideale Kugelschalen-Geometrie aufweist. Erst dann, so zeigten die Analysen, entsteht eine perfekte Implosion in Richtung Mittelpunkt und kann so auf den Hotspot genügend Energie übertragen. Im entstehenden Wasserstoffplasma werden Atome zum Verschmelzen gebracht – und Fusionsenergie freigesetzt.

Kleine Schritte zur Energierevolution

Zwar haben die Forschenden seit 2022 bereits viermal einen kleinen Fusionsenergie-Überschuss erzeugen können. Für größere Ausbeuten werden nun aber noch präziser gefertigte Hohlkugeln benötigt und auch schon entwickelt. Das Problem dabei: Um Oberflächen und Wandstärken auf die nun eingeforderte Quasi-Makellosigkeit überprüfen zu können, fehlten bislang die Messgeräte. Die erforderlichen Messgenauigkeiten in der Größenordnung von einigen Nanometern lassen sich normalerweise nur mit Interferometern erreichen, die mit dem Prinzip der Lichtwellenreflexion arbeiten. "Das Material der untersuchten Hohlkugel ist aber fast intransparent", sagt Martin Ryzy von Recendt. "Daher kann man diese optische Methode, die bisher verwendet wurde, nur unzureichend anwenden."

Fusionsreaktion
Damit es zu einer Fusionsreaktion kommt, wird die mit einem Gasgemisch aus Deuterium und Tritium gefüllte winzige Kapsel mit hochenergetischen Laserstrahlen beschossen.
Illustr.: Lawrence Livermore National Laboratory

Was also tun? In Kooperation mit den Target-Zulieferern General Atomics aus Kalifornien entwickelte das Forscherteam in Linz eine neue Präzisions-Messmethode. Der Trick, den sie anwendeten, beruht dabei auf dem Phänomen der Resonanzschwingungen: Regt man eine dünne Hohlkugel an, genau mit jener Frequenz zu schwingen, die mit einer natürlichen Eigenfrequenz des Objekts übereinstimmt, entsteht auf der Oberfläche eine "stehende Welle". Diese repräsentiert genau jene "Tonhöhe", die der Eigenfrequenz der Hohlkugel entspricht. Im Falle des getesteten Brennstofftargets liegt sie im unhörbaren Ultraschallbereich. Die Wellenberge und -täler der nun schwingenden "Klangschale" können dann aber, so klein sie auch sind, mit einem Interferometer exakt vermessen werden.

Mit Ultraschall zur Kernfusion

Die praktische Umsetzung des "Klangschalenprinzips" hatte freilich einige Stolpersteine: "Eine der größten Herausforderungen bestand darin, die Ultraschallwellen präzise in einem sehr kleinen Bereich zu erzeugen und zu messen, ohne die empfindlichen Kügelchen zu beschädigen", sagt Ryzy. Eingesetzt wurde dafür ein pulsierender Laser, der im Material periodische Temperaturänderungen erzeugt und dadurch die Ultraschallwellen anregt.

Mit einem zweiten Laser, der Teil eines hochsensiblen Laser-Interferometers ist, werden dann die winzigen Auslenkungen der Oberfläche detektiert. Sie bewegen sich in der Größenordnung von wenigen Pikometern, was gerade einmal ein paar Milliardstel eines Millimeters entspricht. Aus diesen Messdaten können dann mit mathematischen Modellen Wanddicken-Abweichungen der Diamantkapseln erfasst werden, die sich im Bereich von zehn Nanometern (zehn Millionstel Millimetern) bewegen – eine zuvor noch nie erreichte Genauigkeit.

Aktuell werden die Präzisionsmessungen noch in Linz durchgeführt. Ziel ist es nun, die Messmethode so weiterzuentwickeln, dass sie bei den Projektpartnern in Kalifornien automatisiert durchgeführt werden kann. Damit können die perfektesten Target-Exemplare selektiert werden, um künftige Fusionsexperimente noch erfolgreicher zu machen. (Norbert Regitnig-Tillian, 2.5.2024)