"Jetzt mal ehrlich: Was isst du, wenn du gar keine Zeit zum Kochen hast?" Wem diese Worte bekannt vorkommen, der oder die wurde von einem der zahlreichen Werbeclips des Start-ups Löwenanteil gestreift. Junge, fitte Menschen lachen in die Kamera und schieben sich einen Teller Fertigeintopf in die Mikrowelle. Eine Stimme rechnet vor, wie sehr es sich lohnt, auf die Gerichte zurückzugreifen. Wie schnell sie doch fertig sind. Wie viel Protein sie enthalten. Zwischendurch präsentiert ein Muskelmann seinen Bizeps. Es wird klar: Löwenanteil ist für die Modernen, Fitten, Schnelllebigen. Für jene, die anscheinend mehr vom Leben wollen. Aber können die Gerichte tatsächlich mehr als eine schnöde Dose Kidneybohnen mit Tex-Mex-Gewürz?

Elf Eintöpfe zu je 7,99 Euro zählt Löwenanteil zu seiner Produktpalette, die mit ihren 570 Gramm für zwei Portionen reichen sollen, sofern man eine Beilage dazu kocht. Dazu kommen drei Gerichte mit "Chunks". Diese stückigeren Varianten schauen eher aus wie ein Gulasch, kosten je 6,99 Euro und sind mit 380 Gramm deutlich kleiner bemessen. Der Großteil der Gerichte ist vegan. Aber nicht alle: eines enthält Rind-, eines Hühnerfleisch. Gemein haben alle, dass sie in Schraubgläsern abgefüllt sind.

Gewürzmäßig unternimmt Löwenanteil eine kleine Weltreise: provenzalische Linsen, Curry und Dal, vermeintlich mexikanisches Chipotle Chili, Bohneneintopf nach italienischer Art. Was genau die geografisch nicht näher definierte "African Bowl" mit veganem Hendl, Wachtelbohnen, Süßkartoffeln und Kokosmilch mit Afrika am Hut hat, erschließt sich nicht. Das bleibt auch nach dem Probieren so, aber dazu später.

Preislich machen die Gerichte im Vergleich mit ähnlichen Produkten eine schlechte Figur. Die Löwenanteil-Eintöpfe kosten auf 100 Gramm gerechnet 1,40 Euro (bzw. 1,84 Euro in der stückigen, gulaschähnlichen Variante). Bei Nabio, ebenfalls ein deutscher Bio-Anbieter, gibt es Linsen-Dal, Chili sin Carne oder Süßkartoffeleintopf im Glas um lediglich 90 Cent bei gleicher Menge. Eintöpfe aus Konservendosen mit vergleichbaren Inhaltsstoffen, natürlich alles Bio, sind noch einmal um einiges günstiger. Ein paar Beispiele: veganes Chili von Alnatura um 59 Cent pro 100 Gramm, selbiges von Reichenhof um 62 Cent, Linsen-Kartoffel-Eintopf von DM um 58 Cent. Die Aufmachung im Schraubglas ist vielleicht auf den ersten Blick ansprechender. Auf dem Teller schaut aber dann doch jeder Eintopf so ästhetisch aus, wie ein Eintopf eben ausschaut.

Marketing für Könige

Das Start-up wurde 2017 von Robin Redelfs und Thomas Kley in Oldenburg gegründet. Mittlerweile zählt das Unternehmen über 20 Angestellte. Seine Gerichte vertreibt Löwenanteil online und teilweise über Anbieter wie den Foodora Market, einen Lieferdienst für Lebensmittel. Für das Geschäftsjahr 2023 wurde laut eigenen Aussagen ein Umsatz von 25 bis 30 Millionen angepeilt. Auf Nachfrage bestätigt Redelfs dem STANDARD, dass das Ziel erreicht wurde. Für heuer strebe man einen Umsatz ähnlicher Größenordnung an.

Katharina Auer-Zotlöterer ist Lehrende am Institut für Marketing an der Uni Wien. In einem Videocall dröselt sie die Marketingstrategie des Unternehmens auf. "Die Werbung von Löwenanteil richtet sich klar an High Performer", erklärt sie. "Es geht darum, im Sport und im Job an seine Grenzen zu gehen, Muskeln aufzubauen, effizient zu sein, keine Zeit zu verschwenden", führt sie aus. Das habe auch mit Männlichkeitsbildern zu tun. Schaut man sich den Namen "Löwenanteil" und das Logo – einen kronetragenden, elitär gehaltenen Löwen – an, werde die transportierte Message deutlich. "Der Löwe ist der König der Tiere und der Anführer", so Auer-Zotlöterer, "der Markenname vermittelt, in einer Führungsrolle zu sein, wenn man das Produkt kauft."

Wie aber passt die größtenteils vegane Produktpalette zu diesen eher veralteten Männlichkeitsklischees? Früher wurde propagiert, Männer würden Fleisch brauchen, erinnert sich Auer-Zotlöterer. Der "Löwe von heute" aber, wie ihn die Marketingexpertin nennt, sei gescheit genug zu wissen, dass er sich Proteine auch aus Hülsenfrüchten und Fleischalternativen holen kann. "So wirkt man nicht nur modern, sondern handelt auch klimaschonend und weltoffen", sagt sie. Außerdem betreffe das nicht nur Männer. Auch Frauen, die einem disziplinierten Lebensstil samt Krafttraining und gesunder Ernährung frönen, spreche das Produkt an.

Muskeln, Protein, Löwenanteil
Muskelshow: In seinen Youtube-Werbespots macht das Start-up deutlich, welcher Lifestyle mit seinen Produkten einhergeht.
Screenshot

Das Preisargument – "nur" vier Euro pro Portion – wird in den Werbespots gern in den Vordergrund gerückt. "Das dient dazu, den Konsumenten zu vermitteln, dass sie smart handeln, wenn sie diese Produkte kaufen", so Auer-Zotlöterer. "Für die angesprochene Zielgruppe ist der Preis aber nicht ausschlaggebend." Eher sei es die Wertehaltung der Marke, die Konsumenten und Konsumentinnen überzeugt.

In ihrer Gesamtheit bewertet die Expertin das Marketing von Löwenanteil als "unglaublich lehrbuchhaft". "Sie haben eine Marktlücke erkannt und besetzt", erklärt sie. Über Social Media werde nicht nur Werbung geschaltet, sondern eine Community rund um das Produkt aufgebaut. Mit Erfolg: Das Wachstum des Unternehmens liege deutlich über dem der Konkurrenz im Fertigproduktemarkt. An die explodierende Nachfrage habe sich das Start-up überraschend flott angepasst. Für die Zukunft sieht Auer-Zotlöterer weiterhin Potenzial nach oben. Die Vision des Unternehmens ist es immerhin, im deutschsprachigen Raum Marktführer im Bereich Fertigprodukte zu werden.

Proteinbombe

Wie aber schaut es mit den Inhaltsstoffen der Eintöpfe aus? Auf der Website des Unternehmens wird unter jedem der Eintöpfe je nach Geschlecht aufgelistet, wie viel des Nährstoffbedarfs er decken soll, im Stil von: "Dieses Erdnuss-Curry deckt 52 Prozent des täglichen Vitamin-E-Bedarfs einer Frau." Darüber kann Diätologin Pia Wildfellner nur den Kopf schütteln: "Wir können weder unseren exakten Bedarf an Mikronährstoffen ermitteln noch wie viel tatsächlich im Dünndarm aufgenommen wird." Das sei jeden Tag und von Person zu Person unterschiedlich.

In einer Gesellschaft an Kontrollfreaks, "die noch nie so gut mit Nährstoffen versorgt war und sich gleichzeitig so viele Sorgen darüber macht, zu wenig aufzunehmen", überrasche es aber wenig, dass so ein Argument zieht. Auf Nachfrage, wie Löwenanteil die detaillierten Nährstofftabellen errechnet, heißt es: "Die Angaben beziehen sich auf die Referenzwerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung." Konfrontiert mit der Kritik der Diätologin, entgegnet das Start-up, man werde den Tabellen den Hinweis beifügen, die Prozentwerte seien nicht allgemeingültig. Bisher ist das nicht geschehen.

Derart detaillierten Nährstofftabellen kann Diätologin Pia Wildfellner nichts abgewinnen. Die Aufnahme der Stoffe sei personen- und tagesabhängig.
Screenshot Website

Kritisch sieht Wildfellner auch die Kommunikation rund um pflanzliches Eiweiß. Zwar biete es zahlreiche gesundheitliche Vorteile und sollte Teil der Ernährung sein, allerdings müsse man bei veganer Ernährung andere Berechnungen als bei omnivorer anstellen: "Pflanzliches Protein wird schlechter vom Körper verwertet, deshalb muss man für die gleiche Versorgung mehr von den Lebensmitteln essen als bei tierischem Eiweiß. Das scheint hier nicht auf." Vom übertriebenen Fokus auf Eiweiß rät sie aber ab: "Gerade Kraftsportler überladen sich teilweise komplett mit Protein und vergessen, dass auch andere Stoffe wichtig sind."

Das Versprechen von Löwenanteil, keine Zusatzstoffe zu verwenden, sieht sie positiv. "Was das Süßungsmittel Erythrit im Sweet-Chili-Eintopf verloren hat, frage ich mich aber schon", stellt die in den Raum. Dieses stehe zwar nicht auf der Liste der Zusatzstoffe, von natürlich sei es aber weit entfernt. Im Idealfall pimpe man die Eintöpfe mit einer Beilage und Gemüse auf, meint Wildfellner, schließlich fehlen sowohl Kohlenhydrate als auch der Frische-Anteil. "Wenn man das alles macht, kann man aber fast gleich selber kochen", scherzt sie.

Auf Dauer finde sie die Gerichte für die verhältnismäßig günstigen Zutaten wie Bohnen und Linsen zu teuer. Dennoch: Typischen Fast-Food-Gerichten wie Pizza, Burger und Pommes seien die Eintöpfe vorzuziehen.

Im Test

Und wie schmeckt das Ganze? Verkostet werden die African Bowl und das kürzlich lancierte Erdnuss-Curry. Ersteres Gericht wird in einem kleinen Topf aufgewärmt und mit Basmatireis angerichtet. Es schmeckt durchaus in Ordnung. Aber: Der "afrikanische" Eintopf ist mutig gesalzen, für einige wohl etwas zu mutig. Das Fleischersatzprodukt aus Erbsenprotein ist klitzeklein zerhackt und kaum erkennbar. Was genau an diesem Gericht sich an die kulinarische Identität welcher afrikanischen Region anlehnt, bleibt ein Rätsel.

Ungeschönt: Die African Bowl von Löwenanteil mit mittelmäßig gelungenem Reis auf unterdurchschnittlich vorteilhafter Tischmusterung.
Nina Schrott

Auch beim Erdnuss-Curry ist anscheinend der Salzstreuer ausgekommen. Hier ist der Fleischersatz grober geschnetzelt und überzeugt mit saftiger Konsistenz. Erbsen und Karotten wurden zerkocht, sie müssen nicht zerkaut, sondern können zwischen Zunge und Gaumen zerdrückt werden. So ähnlich könnte man sich das Essen in einem Altersheim vorstellen. Auch wenn er mit seiner eher mehligen Konsistenz kein Hochgenuss ist, für eine schnelle Mahlzeit tut's der Eintopf allemal.

Resümee

Überspitzt und zynisch formuliert, könnte man sagen, Löwenanteil verkauft überteuerte Hülsenfrüchte an Möchtegern-Kosmopoliten. Solche, die sich von einer "African Bowl" vermitteln lassen, dass es in Afrika offenbar keinerlei kulinarische Variation gibt, Essen in Marokko gleich schmeckt wie in Sambia. Und solche, die sich von der ausgeklügelten Marketingstrategie gern in eine löwenähnliche Leader-Position stilisieren lassen, obwohl sie sich in Wahrheit nur einen Bohneneintopf in der Mikrowelle warm machen.

Man könnte auch sagen, Löwenanteil verkauft Fertigprodukte an Menschen, denen es wurscht ist, ob das Glas drei oder acht Euro kostet. Und an jene, die eine gesündere Alternative zu Fast-Food-Optionen wie Tiefkühlpizza oder Instantnudeln gesucht und gefunden haben. Die Realität liegt wohl irgendwo dazwischen. (Nina Schrott, 1.5.2024)